Jetzt reden wir
Wie geht’s denn so? Sieben Frauen und Männer haben offenherzig geantwortet, vom Dorfältesten über einen Harley-Fahrer bis zu der Frau, die den längsten Schal der Welt gestrickt hat.
„Ich bin hier mit 90 Jahren der Dorfälteste. Aber wirklich alt fühle ich mich nicht, ich habe gar keine Zeit, alt zu sein. Mein ganzes Leben lang habe ich auf meinem Hof gearbeitet, den Kuhstall ausgemistet und Kälber aufgezogen. Damit höre ich ja nicht einfach so auf. Ich fahre immer noch Trecker. Ich schieße auch noch. 1949 kam ich aus der Kriegsgefangenschaft frei, genau an dem Tag, als in Werpeloh Schützenfest war. Zwölf Jahre später wurde ich dann selbst Schützenkönig. Ich bin hart im Nehmen. Bis auf ein bisschen Hinken geht es mir gut, deshalb gehe ich nicht zum Seniorensport, das sollen mal die richtig Alten machen.“
Lukas Lübbers ist zwar der Dorfälteste, aber um Rat fragen ihn die Werpeloher selten, sagt er. Und wenn doch, dann rät er ihnen: „Macht es so wie immer.“
Text und Optik
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„Meine Dirigentin hat mich gerade vor der gesamten Musikkapelle wegen meiner Schuhe zurechtgewiesen. Wir müssen bei unseren Auftritten alle die gleichen Outfits tragen, mit schwarzen Lackschuhen. Dummerweise sind meine kaputtgegangen. Das ist mir aber erst kurz vor dem Auftritt aufgefallen. Deshalb habe ich einfach meine hellbraunen Ballerinas angezogen, weil: Ist doch nicht so wichtig, oder? Meine Freundinnen finden eh, dass ich ein bisschen eine Rebellin bin, seit ich einmal im Zug eine Weintraube fallen – und einfach liegen gelassen habe. Seitdem machen wir immer unseren ironischen Witze darüber.“
Friederike ist 18 und wartet gerade auf eine Zusage für das Lehramtsstudium. Sie hat sich in Hamburg und Berlin beworben, will später aber gern wieder in Werpeloh wohnen.
„Ich habe nicht mehr lange bis zur Rente und lasse es ein bisschen ruhiger angehen. Deshalb fahre ich seit einer Weile eine Harley Davidson, nicht mehr die schnellen Rennmaschinen wie als junger Mann. Passend zum Chopper lasse ich mir den Bart stehen. Ich hoffe, der wächst bis zum Bauchnabel. Dann passt perfekt zu meiner Kutte: Ich bin Mitglied in einem Motoradclub in Meppen, wir heißen „Black Magic“. Der Name steht auf meiner Jacke, ab und zu fahre ich damit durch Werpeloh. Hier kennt sich ja jeder, aber in meinem Outfit und mit der Maschine drehen sich trotzdem alle nach mir um. Ich falle gern auf.“
Georg Freeks ist 58 und träumt davon, mit dem Motorrad an den Fjorden Norwegens entlang zu fahren. Seine weiteste Fahrt bisher ging nicht ganz so weit – bis in den Schwarzwald.
„Als ich erfahren habe, dass es Zwillinge werden, war das einfach nur ein Schock. Ich weiß noch, wie ich beim Arzt war und er sagte: ‚Da ist eins’ und ich dachte nur, ja klar ist da eins. Und er: ‚Na, ich bin noch nicht fertig!“ Ich wusste gar nicht, was ich denken sollte. Ich war mega überrascht, hatte aber auch totale Angst. Meine Schwester hat auch Zwillinge, auch Junge und Mädchen. Bei ihr ist das mit der Geburt nicht rundgelaufen, die Kleinen kamen zu früh und mussten zwei Monate im Krankenhaus bleiben. Deshalb hatte ich Sorge, ob meine beiden durchkommen. Aber es ist alles gut gegangen und freuen wir uns natürlich total über unser doppeltes Glück.“
Bettina ist 33 und für die Liebe aus Werpeloh weggezogen. Zusammen mit ihren Mann und den Kindern wohnt sie in einem Dorf in der Nähe. Zurück nach Werpeloh kommt sie trotzdem oft, hier fühlt sie sich immer noch zuhause.
„Ich habe vergangenes Jahr den längsten Schal der Welt gestrickt. Sieben Kilometer war er lang und reichte von unserem Haus bis in den Nachbarort.
Viereinhalb Jahre habe ich daran gearbeitet, jeden Tag ein paar Meter. Andere Leute schreiben Tagebuch, ich habe mit der Farbe der Wolle meine Gefühle und Stimmungen festgehalten. Der aufgerollte Schal war irgendwann so groß, dass er durch keine Tür mehr passte. Zum Glück haben wir unser altes Haus damals eh abgerissen, mein Mann ist dann mit dem Trecker durch die Wohnzimmerwand gefahren und wir hatten Platz.
Die Freiwillige Feuerwehr hat mir geholfen, den Schal auf einen Laster zu laden und in seiner ganzen Länge auszurollen. Hunderte Zuschauer waren vor Ort, sogar einige Fernsehteams. Ein Notar hat die gesamte Strecke abgemessen: 7203 Meter. Fast drei Kilometer länger als der alte Weltrekord. Trotzdem hat das Guinness-Buch meinen Erfolg nicht anerkannt. Ihnen fehlte ein durchgängiges Video der Ausmessung.“
Claudia Nieters ist 48 Jahre alt. Sie versucht jetzt, sich den Rekord von einem deutschen Rekordbuch anerkennen zu lassen. Der Schal ist mittlerweile in Einzelteile zerschnitten und wird in ihrem Hofladen verkauft. Die Einnahmen gehen an einen guten Zweck.
„Seit zwanzig Jahren führen mein Mann und ich den “Werpeloher Hof”, die letzte Kneipe im Ort. Unter der Woche haben wir kaum noch Gäste. Die Jugendlichen kommen nicht mehr. Die haben ihre eigenen Räume, ihre „Buden“. Drei, vier Jahre geht das schon so. Erst haben wir natürlich gedacht: Was haben wir falsch gemacht? Aber es ist einfach so. Man muss damit fertig werden. Wir leben jetzt vom Saalbetrieb. Geburtstage, Hochzeiten, Erstkommunion, diese Sachen. Das klappt, weil wir sparsam sind. Wir brauchen keinen Luxus, wir brauchen keinen Urlaub. Für meinem Mann und mich gibt es nur das hier.“
Renate Stevens ist 69 und erholt sich am liebsten in ihrem Garten. Aber höchstens zwei Stunden, länger kann sie nicht still sitzen.
„Ich habe mir mein erstes Tattoo mit 18 auf den Unterarm stechen lassen. Das war kurz nach meinem Geburtstag und ziemlich spontan. Das hat bestimmt ein paar hundert Euro gekostet und dann habe ich es nach einem halben Jahr schon wieder bereut. Mittlerweile habe ich das alte Tattoo längst überstechen lassen, und neue dazu gesammelt. Ich mag die Musik der Rolling Stones und deshalb auch Oldschool-Motive, Sterne und Schiffe und so. Ich will auch noch mehr Tattoos, auf der Brust zum Beispiel. Nur nicht mehr am Unterarm. Das ist einfach doof, wenn man bei Geschäftsterminen immer ein Hemd darüber anziehen muss. Aber gut, als Jugendlicher habe ich da nicht so richtig nachgedacht.“
Matthias ist 26 und studiert nach seiner Ausbildung zum Elektroniker Verfahrenstechnik in Osnabrück. Am Wochenende pendelt nach Werpeloh, weil hier die meisten seiner Freunde sind.
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