Neue Bauernregeln

Auch im Emsland geben viele Landwirte auf. Milchbauer Heckmann und sein Nachbar haben durchgehalten – mit ganz verschiedenen Strategien. Nur einer von ihnen wird überleben.

Wenn in Werpeloh der Tag anbricht, steigt Wilhelm Heckmann in seine Gummistiefel, lehnt sich Hans-Georg Geers in seinem Ledersessel zurück. Heckmann, graue Locken und Dreitagebart, muss jeden Morgen in den Kuhstall. Geers, Kurzhaarschnitt und kariertes Hemd, muss nur eine App öffnen. Darüber regelt er Futterzufuhr und Raumtemperatur in seinem Schweinestall.

Draußen, vor den Höfen der beiden im alten Ortskern, steht noch immer eine Allee alter Eichen. Sie sind übrig geblieben aus einer Zeit, in der Werpeloh im Emsland ein Bauerndorf war. Die Höfe aber, die Ställe, die Technik, die Arbeit, all das hat sich in den vergangenen Generationen extrem verändert.

Früher lebte das Dorf vorwiegend von Roggen und Weizen, Kühen und Schweinen. 1950 existierten noch 74 Höfe, seitdem gibt ein Bauer nach dem anderen auf – so wie überall in Deutschland. Heckmann und Geers gehören zu den letzten 15 Landwirten im Dorf. Beide sagen: In zehn Jahren wird es nur noch fünf, sechs Bauern geben. Beide ahnen: Nur einer von ihnen wird überleben.

Text und Optik

Marius Buhl
Susan Djahangard
Steffi Hentschke
Jonas Schaible

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Heckmann und Geers, 55 und 57 Jahre alt, stammen aus Bauernfamilien mit jahrhundertelanger Tradition. Früher lebten die Bauern allein im Rhythmus der Natur. Säen und ernten, mästen und schlachten. So war es noch, als Heckmann und Geers Jungbauern waren. Sie wussten alles über die Abhängigkeit von der Natur: Trockenheit, Missernten, Seuchen, damit waren sie vertraut. Nicht vertraut waren sie mit der zunehmenden Abhängigkeit von der Politik.

Geers’ Familie hatte von allem etwas, Kühe, Schweine, Hühner. In den 1960er Jahren spezialisierte sich Vater Geers auf Schweinemast. Er war vorbereitet, als Supermärkte aufkamen und Schinken, Wurst und Koteletts jederzeit für alle verfügbar sein sollten. Heute hält Hans-Georg Geers 4000 Tiere, gehört zu den größten Schweinebauern im Dorf. Die Voraussicht seines Vaters hat ihn geprägt: „Als Landwirt und Unternehmer bleibt man nie stehen, es geht immer weiter.”

Wilhelm Heckmann beim täglichen Melken. Er ist einer der letzten Milchbauern in Werpeloh.

Heckmanns halten seit jeher nur Kühe. Nach der Schule stand Wilhelm Heckmann bei seinem Vater im Stall, massierte den Tieren die Beine, putzte die Euter. Heckmann erinnert sich gut an diese Zeit, in der es in Werpeloh noch eine eigene Molkerei gab. 1974 bauten er und sein Vater einen neuen Stall für die 70 Tiere. In einem Herdenbuch kann er nachlesen, welche Kuh von welcher Kuh geboren wurde – seine Tiere sind die Nachkommen der Tiere seines Vaters. „Ich hänge an den Kühen, das ist nicht so anonym wie mit den Schweinen. Du kennst deine Tiere, deinen Stall.“

Nach dem Zweiten Weltkrieg päppelte die Politik die Landwirtschaft mit Zuschüssen auf, um schnell unabhängig von Lebensmittelimporten zu werden. Bald produzierten die Landwirte zu viel, vor allem zu viel Milch. 1984 führte die EU eine Quote ein: Ein Bauer durfte nur noch eine bestimmte Menge Milch verkaufen, bekam dafür aber einen Mindestpreis garantiert. Das sicherte auch Heckmann ein solides Einkommen.

Wenige Jahre später suchte die Bundesregierung nach Alternativen zu Öl und Gas und begann, erneuerbare Energien zu fördern. Das sprach sich auch in Werpeloh herum. Anfang der 1990er Jahre überlegten die ersten Bauern, Windräder auf ihre Felder zu stellen. Aber nur zwei Landwirte wagten das Experiment, mit Erfolg. Die Räder machten kaum Arbeit, brachten viel Geld. Schweinemäster Geers wollte nachziehen, doch die Gemeinde genehmigte keine weiteren Anlagen. Er schwor sich: „So eine Chance verpasse ich nicht noch einmal, wenn es um regenerative Energien geht!“

Hans-Georg Geers vor der Biogasanlage. Die Hälfte seiner Einnahmen gewinnt er aus Strom und Wärme.

Dabei waren die Zeiten für die Bauern nicht schlecht. Auch nicht für Milchbauern wie Heckmann, die durch die Quote vor zu hartem Konkurrenzkampf geschützt waren. Er machte weiter wie immer, während sich seine Branche langsam veränderte. Zunehmende Nachfrage aus Asien ließ die Milchpreise steigen. Die EU lockerte die Quote, öffnete den Markt, die Preise fielen. Das Wettrennen begann. Wenige expandierten, viele mussten schließen.

In Brüssel kippten Bauern ihre nun wertlose Milch den Politikern vor die Füße. In Berlin schaffte die Bundesregierung neue Anreize für den Ausbau erneuerbarer Energien. Jetzt schlug auch Schweinemäster Geers zu. Mit einem Nachbarn ließ er eine Biogasanlage bauen. Aus Gülle und Mais entstehen darin Strom und Wärme. Heute sichert die Anlage Geers fast 50 Prozent seiner Einnahmen. “Für uns ein wichtiges zweites Standbein“, sagt er. „Besonders in den letzten Jahren, die schwierig waren für uns Schweinebauern.“

Heckmann hätte auch gern eine Biogasanlage gehabt. Dafür hätte er sich mit anderen Bauern zusammenschließen müssen, weil er allein weder genug Gülle noch genug Mais produziert. Noch immer träumt er von einer Anlage, kleiner als die von Geers, die er sich mit den anderen beiden Milchbauern im Dorf teilen könnte. Gefragt, ob sie Interesse haben, hat er sie nie. Mittlerweile fördert die Bundesregierung neue Biogasanlagen kaum noch.

Manche der Werpeloher Bauern, die nun verschwunden sind, hätten es womöglich gemeinschaftlich geschafft: durch geteilte Investitionen und geteilte Risiken. Zum Beispiel durch Biogasanlagen, die sie gemeinsam betreiben. In anderen Orten gibt es das, in Werpeloh nicht. Vielleicht fehlte der Wille, vielleicht die Gelegenheit.

Heckmann bleibt nur eine Möglichkeit um seinen Hof zu retten: Er muss investieren, in eine geteilte Biogasanlage und einen modernen Stall mit Melkroboter. Mit einem Kredit könnte er sich das leisten, 42 Hektar Ackerland hat er, für die Bank eine Sicherheit. Äcker im Emsland sind extrem teuer. Biogas-Bauern wie Geers bestellen große Felder, um ausreichend Mais für die Gärung zu ernten. Damit haben sie die Pachtpreise in absurde Höhen getrieben. In einem modernen Stall würden sich Heckmanns Kühe wohler fühlen, mehr Milch geben, der Roboter würde effizienter melken. Mehr Milch hieße für ihn mehr Geld. Aber ein hoher Kredit mit langer Laufzeit? Jede vernünftige Bank würde ihm davon abraten. Er will in acht Jahren in Rente gehen und er hat keinen Nachfolger. 200 Jahre Familientradition, Milchbauer Heckmann wird sie wohl beenden. „Der Gedanke ans Aufhören schmerzt sehr”, sagt er.

Biogas-Bauer Geers sagt, es sei jedes Mal ein Schock, wenn einer von ihnen aufgeben müsse. Er sagt auch, dass er noch mehr Mais anbauen wolle und deshalb noch mehr Flächen brauche. Er will weiter wachsen. Und das geht nur, wenn noch mehr Bauern weichen.

Text und Fotos

Marius Buhl
Susan Djahangard
Steffi Hentschke
Jonas Schaible

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