Bauern schlau
Bernd Schmitz ist Schweinezüchter. Und hat gelernt, wie man EU-Förderanträge schreibt. Sein Einsatz bescherte Werpeloh einen Geldregen aus Brüssel.
Wer durch Werpeloh spaziert, entdeckt ein aufgeräumtes Dorf – wie es so viele gibt im Emsland. Gefegte Fußwege, getrimmte Hecken, Bauernhöfe mit Buxbäumen. Doch wer genauer hinsieht, merkt, dass etwas anders ist. Es sind die kleinen Schilder, sie hängen am Pfarrhaus, am Dorfplatz, vor der Kirche. Auf ihnen steht: “Hier investiert Europa.”
Das Geld der Europäischen Union steckt in öffentlichen Gebäuden und Plätzen und einer Straße in Werpeloh. Alle gebaut oder saniert in den vergangenen zehn Jahren. Zwischen 2007 und 2014 erhielten die Werpeloher pro Kopf 124 Euro aus Brüssel. Zehnmal so viel wie die Nachbargemeinden. Dort sagen sie: Wie die Werpeloher muss man das machen. In Werpeloh sagen sie: Der Bernd hat das gemacht. Der Bernd hat Europa nach Werpeloh geholt.
Text und Optik
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Bernd Schmitz, 64, würde das so nie sagen. Im Blaumann läuft er über seinen Hof am Rand von Werpeloh, 280 Schweine im Stall, auf seinen Feldern Mais, Getreide und Hanf. Mit wuchtigen Händen zieht er die Stalltür auf, schiebt eine Fuhre Futter zu seinen Ferkeln. Bauer Schmitz als Europa-Experte? Schmitz winkt ab. “Einer muss es machen, und manchmal war ich es”, sagt er.
Aber wie wurde aus dem Schweinezüchter ein Kenner von EU-Förderrichtlinien und Finanzierungskonzepten? Einer, der die Sprache der Brüsseler Bürokraten spricht und es versteht, deren Geld ins Emsland zu lenken?
Schmitz weiß nicht mehr, in welchem Jahr das alles begann. Und worum genau es bei seinem ersten Antrag ging. Aber er erinnert sich, dass er Anfang der 90er Jahre plötzlich 1500 D-Mark aus Brüssel überwiesen bekam, aus einem Fonds für Landwirte in strukturschwachen Regionen. “Wir haben damals alle solche Anträge geschickt. Und es hat geklappt”, sagt Schmitz. Europa kam nach Werpeloh.
Ein Jahrzehnt später, im Sommer 2005, Schmitz engagiert sich inzwischen im Gemeinderat, hat Werpeloh ein Problem. Das Pastorat droht einzustürzen. Die Kirche hat kein Geld, das Gebäude zu retten, es soll abgerissen werden. Schmitz fragt sich, ob die EU neben den Bauern nicht auch beim alten Pastorat helfen könnte? Er vertieft sich in die Förderprogramme und entdeckt, dass Brüssel kirchliche Projekte nur mit 30 Prozent unterstützt – Kommunen aber mit bis zu 60 Prozent. Schmitz kommt eine Idee. Die Gemeinde kauft kurzerhand der Kirche das marode Gebäude ab. Dann beantragt sie die Sanierung. Der Plan geht auf, die EU zahlt 120.000 Euro. Im Pastorat entstehen ein Archiv, eine Bibliothek und ein Raum für die Pfarrgemeinde. Schmitz’ erster Erfolg als Geldbeschaffer für die Gemeinde.
Für Brüssel sind die 120.000 Euro nur ein winziger Betrag. Für die Gemeinde ist es viel Geld. Der kommunale Haushalt beträgt in manchen Jahren nur rund 500.000 Euro. Braucht Werpeloh eine neue Straßenlaterne, muss das Geld an anderer Stelle gespart werden.
Noch bevor das Pastorat saniert ist, wählen die Werpeloher Schmitz in den Kreistag. Als Kreispolitiker erhält er für sein Ehrenamt monatlich 280 Euro plus Spesen. Vor allem aber erhält er Macht, erhält neue Möglichkeiten, Werpeloh zu helfen. Im Kreistag sitzt er neben dem Landrat in der CDU-Fraktion. Und was die CDU entscheidet, wird gemacht im Emsland.
Schon bald kommt die nächste Gelegenheit für Schmitz, zu beweisen, wie Geld aus Brüssel in Werpeloh landen kann. Die Europäische Union hat gerade das „Leader“-Programm zur Entwicklung ländlicher Regionen verlängert, von 2007 bis 2014 soll allein Deutschland dafür rund 910 Millionen Euro erhalten. Das Geld soll vor allem Initiativen vor Ort zugute kommen. In Brüssel beschreiben sie das so: “Lokale Akteure werden aktiv in die Ausarbeitung und Umsetzung integrierter Entwicklungskonzepte einbezogen.” In Werpeloh sagt Schmitz: “Du musst eine gute Idee in der Schublade haben”.
Und Werpeloh braucht bald wieder eine neue Idee. In der Dorfmitte verfällt das Jugendzentrum, die EU könnte helfen, doch die Förderrichtlinien des Leader-Programms sind streng. Die Projekte müssen innovativ sein und zukunftsweisend. Zumindest müssen sie so klingen. Ein heruntergekommenes Jugendzentrum aufzuhübschen, das reicht noch nicht.
An einem Sonntagmorgen sitzt Schmitz in seinem Wohnzimmer. Er hat das ZDF eingeschaltet. In der Sendung sind Jugendliche und Senioren zu sehen, die gemeinsam in einem Haus musizieren, basteln und singen. Solche Mehrgenerationenhäuser würden vielerorts gebaut, als Treffpunkte für Stadt- und Dorfgemeinschaften. Und Schmitz denkt sich, so machen wir’s, wir bauen ein “Mehrgenerationenhaus”.
Schmitz studiert erneut Richtlinien und Verordnungen. Er denkt sich: “Das ist alles von Menschen gemacht, also ist es auch von Menschen zu verstehen.” Die Bewerbung für das Projekt ist aufwendig. Die Planung des Mehrgenerationenhauses füllt Aktenordner, Schmitz muss ein 20-seitiges Antragsformular einreichen.
In Sögel, fünf Kilometer von Werpeloh entfernt, betreut ein EU-Regionalmanager eine Förderregion, zu der auch Werpeloh gehört. Zwischen 2007 und 2014 ist er daran beteiligt, 2,4 Millionen Euro auszuschütten. Schmitz präsentiert ihm seine Idee, das Jugendzentrum abzureißen und ein Mehrgenerationenhaus zu bauen. Der EU-Manager ist überzeugt. Also schreiben Schmitz und er ein Konzept, argumentieren, dass gerade im ländlichen Raum der Zusammenhalt zwischen den Generationen wichtig sei und es hierfür eine Anlaufstelle brauche. Schmitz wühlt sich durch die Förderrichtlinien, schaut, welche Punkte noch nicht erfüllt sind, wo er das Projekt noch förderfähiger schreiben muss. Sein Ziel: 100.000 Euro aus Brüssel. Die maximale EU-Fördersumme für Projekte dieser Art.
Die bekäme er allerdings nur, wenn er weitere Mittel einwerben kann. Schmitz hat bereits beim Landrat vorgesprochen, doch der sagt, mehr als 35.000 Euro könne er nicht genehmigen. Zu wenig für ein Projekt, das fast eine Million Euro kosten soll.
Schmitz legt sich einen Plan zurecht. “Die besten Ideen kommen mir auf dem Trecker”, sagt Schmitz, und so sei es auch damals gewesen. Schmitz überzeugt den Vorsitzenden seiner Fraktion, im Haushalt des Landkreises einen neuen Posten zu schaffen: für “Gemeinschaftsräume”. Als der Etat steht, sind die Werpeloher vorbereitet und beantragen die Mittel sofort, erst später kommen auch andere Gemeinden an das Geld. Der Landkreis zahlt Werpeloh für das Mehrgenerationenhaus 160.000 Euro, hinzu kommen Gelder aus dem Bistum und aus der Gemeinde. Damit hat Schmitz sein Ziel erreicht, die EU zahlt die maximale Fördersumme 100.00 Euro. Insgesamt sammelt der Landwirt so 750.000 Euro ein.
Als das am Ende doch nicht ganz reicht, packen die Werpeloher selbst an. Sie pflastern den Eingang, montieren die Außenleuchten. Auf Fotos aus dem Sommer 2012 steht Schmitz zwischen Erdhaufen und Pflastersteinen, schaufelt eine Grube und verlegt Abwasserrohre. Er sieht zufrieden aus.
Im September 2012 wird das Mehrgenerationenhaus eingeweiht. Ein großer Erfolg für Schmitz, für den Kommunalpolitik längst keine Nebensache mehr ist. In manchen Jahren stehen in seinem Kalender 115 Termine. Er spricht Grußworte auf Vereinsjubiläen, verleiht Urkunden auf Goldenen Hochzeiten und 90. Geburtstagen. Schmitz ist ein Repräsentant geworden – und Anpacker geblieben.
Im Jahr 2014 engagiert sich Schmitz für sein bisher größtes Projekt. Gemeinsam mit CDU-Fraktionskollegen kämpft er für einen regionalen Naturpark. Der soll mehr als 50.000 Hektar groß werden, ein Sechstel des Emslandes. Werpeloh würde mitten in dem Gebiet liegen. Die Buchenwälder und Birkenhaine, Moore und Steingräber sollen zu einem Tourismusgebiet verbunden werden. So etwas finanziert die EU gerne. Und das mit Förderprogrammen, an deren Gelder Werpeloh bisher nicht kam. Schmitz, begeistert von der neuen Idee, bemerkt zu spät, dass er damit die Seinen gegen sich aufbringt. Die Landwirte wittern rigide Vorschriften für die Nutzung ihrer Felder und Wälder. Einige sprechen von kalter Enteignung. Und gegen die Landwirte geht in der Emsland-CDU wenig. Als im September 2016 die Emsländer einen neuen Kreistag wählen, steht Schmitz’ Name nicht auf dem Wahlzettel.
Im Sommer 2017 sitzt Schmitz in seinem Esszimmer und stützt sich mit beiden Händen auf die Tischplatte. “Das geht nicht spurlos an mir vorbei.” Schmitz hat ein politisches Sabbatjahr eingelegt. Wenn er über seine Zeit in der Politik redet, lacht er viel, er freut sich über seine kleinen und großen Erfolge, über die rund 400.000 Euro, die er mit nach Werpeloh geholt hat. Nein, verbittert wirkt Schmitz nicht. Er, der immer wieder betont, dass er das natürlich nicht allein geschafft hat. Für solche Projekte brauche es viele Menschen, die mit anpacken.
Aber es braucht eben auch Organisatoren und Antreiber. Leute, von denen am Ende alle sagen, dass es ohne sie nicht gegangen wäre. Bernd Schmitz ist einer von ihnen.
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